Wie geht es Dir? – Floskel oder Chance?

Ein Frauenportrait mit fragender Miene und einer Denkblase: Wie geht es Dir wirklich?

„Wie geht es Dir? – eine alltägliche Frage – sie wird mir von Freunden gestellt, von Bekannten, in der Familie, von Kollegen, im Verein und manchmal sogar von Wildfremden. Einst hat sie mich verärgert, denn oft wird sie nur als Floskel verwendet. Dann erkannte ich, dass sie auch eine Einladung zum Gespräch ist, eine offene Frage mit der Chance für wirkliche Begegnung.

Diese Frage hat mich verärgert

Es gab eine Zeit, da habe ich mich sehr darüber geärgert, über diese Frage.

Weil: Wenn ich ehrlich geantwortet habe, dass es mir nicht gut geht, kam schonmal die Antwort: „So genau wollte ich es gar nicht wissen“. Bumm! – Bratpfanne – Kopf eingezogen – Mich mies gefühlt.
Oder es kam ein peinlich berührtes Schweigen, gefolgt von Themenwechsel. Ich dachte dann: Wenn Du es nicht wissen willst, dann frag doch nicht!

Eine andere Erfahrung: Wenn ich andere gefragt habe, „Wie geht es Dir?“ und sie darauf eingegangen sind, habe ich oft einem längerem Monolog beigewohnt, und ich kam mir mitunter vor wie eine Mülltonne.

Oder oft hörte ich die Klassiker. „Alles Bestens!“ „Prima!“ „Alles Gut“ – Dann versuchte ich dahinter zu blicken. Meinten die das wirklich so? Oder wollten sie abwiegeln, weil sie darüber nicht sprechen wollten? Oder waren sie im Floskel-Modus a la americano: How are you? Oh, I’m fine. How are you? Nice to meet you! Oder war das ihre Art von Cool sein oder Immer alles positiv sehen?

Es hat mich geärgert – eine Zeit lang. Ich beobachtete die Sache und dachte nach. Ich überlegte,

  • warum ich mich zur Verfügung stelle, und dem anderen zuhöre, obwohl es mir zu lang oder zu viel wird.
  • warum mich Reaktionen wie „So genau wollte ich es gar nicht wissen“ so tief treffen konnten.
  • wie ich auf diese Frage antworten kann, wenn ich darauf nicht antworten will.
  • dass Zuhören und empathisch sein – für mich – nicht dahin führen darf, dass es mich auslaugt.
  • dass das Zuhören eine Stärke von mir war, auf die ich stolz war – um den Preis, dass ich zu kurz kam, bzw. das mich selber mitteilen kam zu kurz.
  • wie ich insgesamt sozialverträglich damit umgehen kann.

Es widerstrebte mir, die Frage „Wie geht es Dir“ als pure Floskel zu sehen. Einerseits wurde dies den ernstgemeinten Fragen nach dem Wohlergehen nicht gerecht. Zudem erkannte ich, dass, wenn ich diese Frage stelle, es zu einem Gespräch kommen kann, das sehr persönlich werden und in die Tiefe gehen kann – eine Chance für wirkliche Begegnung!

Diese Frage kann ein Gespräch eröffnen!

Ich erkannte also, mit dieser Frage eröffne ich ein Gespräch. Gespräche werden begonnen, geführt, sie entwickeln sich und werden beendet. Das führt für mich zu weiteren Betrachtungen: Wie will ich das Gespräch führen? FÜHRE ich das Gespräch? Lasse ich mir die Führung abnehmen? Kontrolliere ich etwa das Gespräch? Darf ich das? Muss ich antworten? Wie beende ich das Gespräch?

Ich begann daran zu arbeiten, – und ich lerne immer noch dazu,

  • mir zu erlauben, diese – fast obligatorische – Frage NICHT zu stellen, und mich dabei nicht unhöflich oder schlecht zu fühlen.
  • mir den Raum zu nehmen, über mich zu sprechen, etwas über mich zu erzählen. Ich stellte fest, dass ich wenig Übung darin habe, über mich zu sprechen – von dem, was mich bewegt. Und auch wertschätzend dabei zu sein, weniger problemorientiert.
  • das Gespräch zu führen, ohne es zu kontrollieren und es sich gleichzeitig entwickeln zu lassen.
  • mir die Freiheit zuzugestehen, nicht auf alles zu antworten, ein Gespräch zu beenden oder ein Gespräch zu unterbrechen – und mich abzugrenzen!
  • zu schauen, wieviel kann ich / will ich dem anderen zumuten von meinem Tiefgang, wieviel bin ich bereit, an-zu-hören oder zuzuhören?
  • mich liebevoll und bestimmt abzugrenzen, vor allem beim Zuhören.
  • wenn ich mich mitteilen will, das Gespräch mit geeigneten Menschen zu suchen, die mir ihr Ohr leihen wollen, wenn ich erzählen will, wie es mir geht.

Mittlerweile ärgert mich diese Frage nicht mehr. Ich ärgere mich eher, wenn ich wieder mal in die Falle gegangen bin, z.B. wenn ich mich beim Zuhören in dem Anderen verliere. Oder wenn ich die Frage stelle, nur um höflich zu sein, und es dann nicht schaffe, mich abzugrenzen.

„Wie geht es Dir?““ – kann ein Einstieg in ein Gespräch sein, bei dem es nicht ums Wetter und andere Oberflächlichkeiten geht. Wenn es NICHT bei einer Floskel bleiben soll, sollten alle am Gespräch Beteiligten bereit sein, sich zu öffnen, ehrlich zu sein, sich wirklich mitzuteilen und zuzuhören. Und ich wünsche mir, dass wir uns die Zeit dazu nehmen und auch nachdenkliches Schweigen seinen Raum bekommt.

Wie geht es Dir? – ist eine offene Frage!

Es ist eine offene Frage, die das Tor weit öffnet, eine offene Einladung, sich mitzuteilen. Ich habe erlebt, dass Menschen ihr Herz ausschütten, dass sie jammern, klagen, schimpfen, beschuldigen, lamentieren, sich freuen, motivierend sind, sich dankbar zeigen. Manchmal fassen sie sich kurz, dann können sie nicht aufhören, wieder andere rufen „Alles Bestens“. Sie nutzen es, um ihren Unmut zu äußern oder wollen sich nicht beklagen. Sie zählen auf, was sie alles gemacht und erreicht haben, was noch in der Pipeline steht, wie es den Kindern geht oder dass sie gerade keine Zeit haben.
Je nach dem, halten die Gefragten kurz inne, um zu überlegen, Ja, wie geht es mir eigentlich wirklich? Sie reflektieren in Gedanken, – oder laut. Sie fassen sich kurz oder länger. Mal geht es darum, wie sie sich fühlen, mal darum, was alles so in ihrem Leben passiert.

Wenn ich gefragt werde, wie es mir geht, kann ich mir aussuchen, wie ich antworte, welchen Aspekt meines Lebens ich hervorhebe, mein Lebensgefühl, die Probleme, die Ereignisse oder Erfolge etc.

Als Fragende kann ich die Frage einschränken oder lenken. Z.B. kann ich sagen: Wie geht es Dir? – bist Du mit Deinem Projekt XY weitergekommen? Oder: Wie war Dein Urlaub? Oder: Du siehst bedrückt aus, magst Du was erzählen? Oder: Du strahlst so, was hast Du heute erlebt?

Wie geht es Dir wirklich?

Und ich kann nachhaken: Wie geht es Dir wirklich? – Doch dann will ich auch bereit sein, mich darauf einzulassen, und wirklich zuhören. Der Gefragte braucht vielleicht Zeit, sich auszudrücken, zu formulieren, was da wirklich los ist, und er möchte ernst genommen werden. Wichtig ist mir auch, das Gespräch zu einem angemessenen Abschluss zu bringen. Ein angerissenes Gespräch, das schon eine sensible Tiefe erreicht hat, die entstandene Nähe, all das verdient einen würdigen Abschluss.

Nicht immer ist der Raum da für diese Frage. Und der Gefragte entscheidet selbst, ob er diese Chance für sich nutzen will, oder nicht.

Willst Du Smalltalk oder mehr?

„Wie geht es Dir?“ kann ich als Einstiegsfrage nehmen, um eben nicht über das Wetter zu reden, sondern um wirklich in Kontakt zu kommen mit dem Menschen – sofern er sich darauf einlässt. Sonst bleibt es beim Smalltalk, und Smalltalk ist überhaupt nicht mein Fall – doch das ist ein anderes Thema.

Die Chance zu diesem Blogartikel ergriff ich beim Aufruf von Anette Schade zur Blogparade: „Schreibe über das Thema „Wie geht es Dir wirklich?“ – Es lohnt sich, dort rein zu schauen, denn dort kommen die verschiedensten Meinungen zu diesem Thema zusammen.

Und nun: Was sind Deine Assoziationen zu diesem Thema? Schreib es mir doch in einem Kommentar!

2 Kommentare
  1. Paula Marie Berdrow
    Paula Marie Berdrow sagte:

    Liebe Antje,

    ich mag das sehr, wie du aus dem anfänglichen Ärger über diese Floskelfrage so einen selbstbestimmten und auch respektvollen Blick auf die Frage entwickelst.

    Ich habe ein Bild dazu. Man geht zusammen einen Weg entlang und entscheidet gemeinsam, ob man Abzweigungen nimmt, Treppen vielleicht oder ob man geradeaus weitergeht, oder auseinander. Die Frage „Wie geht es dir“ ist ein Angebot oder eine Einladung, gemeinsam abzubiegen. Die andere Person ein Stück mitzunehmen in meine Welt. Wie weit ich gehe, darf ich selbst entscheiden, und auch, ob ich überhaupt abbiegen will. Das finde ich ganz wichtig.

    Ich habe auch einen Artikel zur Blogparade geschrieben, da geht es darum, wie schwer es mir manchmal fällt, auf die Frage zu antworten. Manchmal weiß ich gar nicht so genau, wie es mir geht. Manchmal grübele ich, wie die Frage gemeint ist (sehr schön, Dein Impuls, dass ich mir aussuchen kann, welchen Aspekt ich betone). Manchmal kommt sie mir zu früh oder ich habe keine Energie für einen Spaziergang 😉

    Liebe Grüße
    Paula

    Antworten
    • Antje
      Antje sagte:

      Herzlichen Dank für Deinen Kommentar, liebe Paula! Genau das kenne ich auch: Die Frage kommt zu früh oder ich habe keine Energie, mich darauf einzulassen.
      Jetzt werde ich gleich mal Deinen Artikel zu diesem Thema lesen.

      Antworten

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